Oktober 2006
Am Freitag war wieder
Chefvisite.
Die Lage ist sehr ernst!
Nach einer aus diagnostischen
Gründen erforderlichen vorübergehenden Entfernung des Luftfilters ist er
nun quasi klinisch tot. Sprang er bis dahin immerhin noch an und fuhr
schleppend, so ist nun überhaupt kein Lebenszeichen mehr zu erkennen.
(Steckt ein ärztlicher Kunstfehler dahinter?)
Er hängt jetzt an der
Herz-Lungen-Maschine. Am Montag wird die Diagnostik fortgesetzt: Alle rund
60 Kabel werden dann einzeln überprüft werden. Ich werde wohl Haus und
Hof verkaufen müssen und meine Oma dazu, um die Behandlung finanzieren zu
können.
Er ist nun schon seit zwei
Wochen von zu Hause weg.
1. November 2006, 18.30 Uhr
Meine Kollegin war heute in der
bewussten Klinik, um bei ihrem die Winterpuschen aufziehen zu lassen. Ich
flehte sie an, nach meinem Kleinen zu sehen, ihm liebevoll über den
Kotflügel zu streichen und den Chefarzt um Auskunft zu bitten.
Nach ihrer Rückkehr berichtete
sie, dass sie den Kleinen gleich auf dem Hof hat stehen sehen - ohne
Nummernschilder! Dann stellte sich allerdings heraus, dass es sich dabei
nur um einen ähnlich aussehenden Patienten handelte. Meiner stand im
Innenraum - Gott sei Dank hat er es warm!
Dann richtete sie dem Chefarzt
aus, dass ich manchmal vor Kummer weinte und ja nun schon bald seit drei
Wochen jeden Morgen mit dem Bus zur Arbeit führe. Darauf habe der Doktor
erwidert: "Tja, morgen vielleicht! Wir haben da etwas ausgebaut, da
hat's ihn erstmal zerrissen."
Mehr konnte sie nicht heraus
bekommen. Aber sie ist ja auch keine Angehörige.
Meine Nerven liegen blank!
1. November 2006, 22.51 Uhr
Ich würde ihn dort ja sofort
rausholen und verlegen, aber er kann ja gar nicht mehr aus eigener Kraft
fahren! So sehr haben sie ihn zugerichtet!
Man möge mir verzeihen, aber
16 gemeinsame Jahre sind eine sehr, sehr lange Zeit ...
1. November 2006, 23:04
Ich befürchte, mein Kleener
wird bis auf Weiteres zur Seite geschoben wegen ein paar Mercedes-Benz,
BMW und Porsche Cayenne!
2. November
2006
Es blieb leider beim
"Vielleicht".
Ich bin ja sonst nicht
zimperlich, wenn's ums Meckern und Beschweren geht. Aber dieser Fall ist
schließlich ein spezieller und äußerst sensibel anzugehen. Wenn ich da
zu pampig auftrete, lässt er es vielleicht am Kleenen aus .... Oder
schmeißt ihn mir sogar unbehandelt vor die Füße!
3. November
2006, 19.10 Uhr
Heute morgen wieder der
obligatorische Freitagsanruf in der Klinik.
"Guten Tag, hier ist Frau
Luna. Wie sieht's aus, würden Sie mir zu einer Monatskarte für den
Omnibus raten?"
"Tach Frau Luna. Vorhin
ist er mir auf dem Parkplatz wieder zusammengebrochen. Sie brauchen einen
Wagen am Wochenende!?"
"Nee, am Wochenende
weniger. Aber während der Woche. Ich fahre ja nun bereits seit drei
Wochen Bus und muss dafür jeden Morgen eine dreiviertel Stunde früher
aufstehen!"
"Frau Luna, ich rufe Sie
nachher an!"
Am Nachmittag dann die
Nachricht einer Krankenschwester: "Frau Luna, Sie können Ihren Wagen
abholen!"
Gleichermaßen verdutzt wie
aufgeregt fahre ich hin. Das kam ja nun doch ein bisschen überraschend.
Als ich das Gelände betrete (ein neuer Standort, die Klinik ist während
des Aufenthaltes meines Kleenen inklusive aller Patienten umgezogen),
kommt mir der Chefarzt mit ausgebreiteten Armen und wehenden
Kittelschößen über den Hof entgegengeeilt.
"Seien Sie ehrlich, Herr
Doktor, Sie haben ein Blech aus dem Boden geschnitten, und ich muss jetzt
treten!" Er schüttelt den Kopf: "Frau Luna: Er läuft!"
Geht mit mir um die Ecke, da steht er, mein Süßer, mit laufendem Motor.
Mein Herz macht einen Hüpfer. Der Doc drückt mir Schlüssel und Papiere
in die Hand und sagt: "Nehmensen mit, fahrense los!" Da ich dort
sonst immer gleich an Ort und Stelle zahle, bin ich jetzt verwirrt.
"Wie, was ...? Was war denn überhaupt?"
Er verdreht die Augen, winkt
mit weit ausholenden Bewegungen ab. "Frau Luna, ich kann Ihnen gar
nicht sagen, was wir da alles gemacht haben! Das könnense sich nicht
vorstellen! Wir haben .... ach!" Winkt wieder mit beiden Armen ab.
"Der Horst ist jetzt nochmal 18 Kilometer damit gefahren, er läuft
jetzt! Haunse ab!"
"Ja, und - äh - wollen
Sie denn nix dafür berechnen?" - "Nee, will ich nich. Jetzt
läuft er, aber ob es so bleibt ... " Er zieht die Schultern ziemlich
weit nach oben, um sie anschließend wieder fallen zu lassen.
Ich bin ein wenig irritiert,
unsicher, wie ich mich verhalten soll. Sage dann artig Dankeschön, aber
eben auch nicht besonders überschwänglich, weil wir ja beide nicht
wissen, ob wir dem Frieden trauen sollen. "Frau Luna, wir
telefonieren Montach! Sagense mir, ob er läuft!"
Vorsichtige lenke ich den
kleinen Patienten vom Hof. Ja: Er ist noch ein wenig wackelig auf den
Beinen. Wir fahren zum nächsten Lebensmittelmarkt, wo ich ihn bis unters
Dach vollpacke. Endlich mal wieder groß einkaufen können, herrlich!
Diese Gelegenheit muss ich nutzen, wer weiß, wer weiß ....
Nun steht er wieder vor meine
Tür. Ein schönes Gefühl. Sorgen bleiben, aber auch eine verhaltene
Freude kommt auf.
Und Irritation bezüglich des
Chefarztes. Ob der hier mitliest?
3. November
2006, 20:07
Werde mich auf jeden Fall
künftig noch intensiver bemühen, jeden Gullydeckel zu umfahren, um
Erschütterungen zu vermeiden, die gegebenenfalls zu einem weiteren
Kabel-Infarkt führen könnten.
Er fordert ohnehin bereits seit
Jahren ein ausgesprochen filigranes Spiel zwischen Gas- und Kupplungspedal
ein, das außer mir nur noch geschultes Fachspersonal berherrscht.
6. November
2006
10. November
2006
Wir hatten eine ruhige Woche.
Er brummt tapfer vor sich hin.
20. November
2006
Schwerer
Rückfall!
Musste ihn heute in eine
Spezialklinik einweisen!
Glück im Unglück: Der
Chefarzt dort besitzt ein ähnliches Modell, ungefähr genauso alt! Er
wird sich persönlich um mein kleines Sorgenkind kümmern. Das gibt mit
eine gewisse Sicherheit, dass sich mein Kleiner dort in guten, liebevollen
Händen befindet. Zudem hat der Chef bereits eine erste Ferndiagnose
abgegeben, nachdem ich telefonisch die Symptome durchgegeben hatte. Das
ließ für mich den Rückschluss zu, dass sich dort kompetentes
Fachpersonal um meinen Kleinen kümmern wird.
Schon morgen soll ein Bulletin
erfolgen.
Es besteht also weiterhin
Hoffnung!
21. November
2006
Doch noch keine Diagnose heute.
Aber ich führe das Ausbleiben
von Informationen darauf zurück, dass sich das Spezialklinikpersonal
besonders große Mühe mit dem Kleenen gibt und nicht vorschnell handeln
möchte!
Von der Entwicklung der letzten
Wochen leite ich keineswegs beunruhigende Prognosen für die Zukunft ab.
Wir - der Kleine und ich - sind bisher lediglich unwissenden Kurpfuschern
aufgesessen. Jetzt aber befinden wir uns in der Obhut einer Koryphäe!
22. November
2006, 19.37 Uhr
Keine guten Nachrichten.
Die Operation soll an die 600
Euro kosten.
Ich würde sie aber auf jeden
Fall bezahlen.
22. November
2006, 19.46 Uhr
Klammere ich?
23. November
2006
Es ist soweit.
Der Professor hat es mir sehr
schonend und einfühlsam beigebracht. "Ich weiß, wie Sie jetzt
fühlen. Da wird einem das Herz schwer, und man möchte sich nicht
trennen. Aber irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen. Und er hat doch ein
schönes Alter erreicht."
Neben dem aktuellen
Hauptschaden - einer defekten Drosselklappe - hat die von mir erbetene
gründliche Untersuchung noch folgendes ergeben:
Scheinwerfer rechts von innen
feucht
Lenkstange ausgeschlagen
Antriebswellenmanschetten
porös, teilweise offen
Getriebe verliert Öl
Kühler verliert Flüssigkeit
Bremsleitungen Mitte und hinten
defekt
Keilriemen rissig
Bremsscheibenbelege müssen
erneuert werden
Gesamtreparaturkosten: 1.200
Euro.
Er hat mir angeboten, den
Kleinen gleich dort zu lassen. Sie würden ihn kostenlos - *schluck* -
"wegbringen".
Am Montag werde ich nochmal
hinfahren, um die Papiere abzugeben und meine Sachen 'rauszuholen. Den
Stieraufkleber lasse ich drauf. Ist ja seiner. Habe ich ihm ja extra aus
Andalusien mitgebracht ...
26. November
2006
Sollte ich eigentlich vorher
noch das Autoradio und die 4 Boxen ausbauen (lassen), oder ist das Quark?
Immerhin sind die ja auch schon 16 ...
27. November
2006
Heute habe ich ihn
einschläfern lassen. Als sie mir das leere Halsb.. - äh - die leere
Hülle, in der sich vorher die Papiere befanden, zurückgaben, habe ich
sehr geweint.

Der kleine
Patient
auf seiner letzten Mission
während der Fußball-WM 2006
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