Montag
Als ich meine
Wohnungstür öffne, trifft mich der Schlag. Seit Tagen wird hier
renoviert, seit Tagen begleitet mich das Rascheln von
Plastik-Abdeckfolien bei jedem Schritt, den ich gehe, und jedem
Handschlag, den ich tue. Die letzten beiden Nächte habe ich sogar unter
einer Plastikfolie geschlafen. Na ja, nicht ganz, der Kopf guckte noch 'raus.
Jetzt aber liegt
auch der letzte Raum, der mir noch geblieben war, in Schutt und Asche.
Als wir drei - mein
Koffer, mein Fahrrad und ich - nach einigem Gemaule des Taxifahrers
endlich im Auto verstaut sind, fahren wir los. Ich sitze auf dem
Vordersitz neben dem Fahrer, denn auf der Rückbank sitzt mein Koffer.
"Zum Hotel Atlantis bitte!" Der Fahrer tritt auf die Bremse,
zieht eine Augenbraue hoch und sieht mich ungläubig von der Seite an.
Ich halte tapfer seinem Blick stand und nicke bestätigend.
Während der
nächsten zehn Minuten liegt bleiernes Schweigen im Fahrgastraum. Ich
denke an das idyllisch etwas außerhalb der Stadt liegende Hotel. Schon
immer habe ich davon geträumt, in meiner eigenen Heimatstadt einmal in
einem Hotel zu wohnen, und wenn, dann nur in einem - nämlich in diesem
- Hotel. Gut, da gibt es die eine oder andere nicht ganz jugendfreie
Geschichte, die man sich über diesen Ort erzählt. Aber das alles ist
ja schon sehr lange her. Da soll sich der Taxler mal nicht so anstellen.
Als wir eine
Baustelle erreichen, breche ich moralisch ein. Ich habe nun doch das
Bedürfnis, eine Erklärung abzugeben. "Genauso wie hier sieht es
gerade in meiner Wohnung aus", rechtfertige ich mich. "Und
deshalb ziehe ich ins Hotel."
An der Rezeption
werde ich bereits vom Juniorchef erwartet. "Ich hatte angerufen,
ich bleibe etwa drei oder sechs Tage. Ich würde gern möglichst oben
wohnen." Der
Juniorchef: "Kein Problem. Wir haben aber keinen
Fahrstuhl!" Ich: "Hm,
na ja, dann muss ich halt schleppen."
Der Junior sieht auf den Bildschirm seines PCs und sagt: "Ich
trage …" - 'Ein Glück, ER
trägt!', denke ich angesichts meines schweren Koffers. - "…
Sie dann mal in Zimmer 215 ein! Sie gehen durch die Bar am Schwimmbad
vorbei, durch die grüne Tür und dann zwei Treppen hoch!"
In meinem Zimmer
befindet sich ein Wasserbett. Ich denke an die hochgezogene Augenbraue
meines Taxifahrers. Irgendetwas brummt. Ich öffne das Fenster und
stelle fest, dass ich in unmittelbarer Nähe eines Abluftschachts der
Küche untergebracht bin. Gefällt mir gar nicht! Ich gehe wieder nach
unten und frage nach einem anderen Zimmer. Inzwischen sitzt der
Seniorchef an der Rezeption. Bereitwillig gibt der mir einen neuen
Schlüssel. Ich erinnere ihn daran, dass er mir am Telefon zugesichert
hatte, mir einen kleinen Kühlschrank aufs Zimmer zu bringen. "Kein
Problem, kommt morgen!"
Mein Blick schweift
Richtung Bar und Schwimmbad, die einander gegenüber liegen und mit
einer Wand, die sehr viele Fenster aufweist, voneinander getrennt
sind.
"Wie - äh - …" Ich suche nach einer passenden Formulierung
für meine Frage,
während mir die hochgezogene Taxifahreraugenbraue wieder in den Sinn
kommt. "Wie geht man denn üblicherweise vor, wenn man das
Schwimmbad benutzen möchte? Gibt es Umkleiden, oder geht man direkt vom
Zimmer aus hinein? Ich habe allerdings keinen Bademantel dabei."
"Einen
Bademantel stellen wir Ihnen gern zur Verfügung", bietet der
Senior freundlich an. Und verschwindet sogleich hinter den Kulissen
seiner Rezeption. Bleibt lange weg. Nach etwa zehn Minuten taucht er
wieder auf mit leichter Röte im Gesicht und einem riesigen weißen
Bademantel über dem Arm. "Es ist mir etwas unangenehm, aber wir
haben nur Bademäntel ohne Gürtel!"
Mein neues Zimmer
besitzt - wie das vorherige auch, und wie überhaupt das ganze Hotel -
den Charme der 70er Jahre. Ich packe meine Sachen in den Schrank und
beschließe, noch eine kleine Abendtour mit dem Rad zu unternehmen.
Ich komme vorbei an
Wiesen mit blühenden Sonnenblumen, Kaninchen hoppeln über meinen Weg,
herrlich! Von weitem sehe ich das Hotel, wie es zwischen Wald und Wiese
weiß hervorblitzt, als wäre dort gerade ein Ufo gelandet.

Nach meiner
Rückkehr bediene ich mich am Mediterranen Buffet und ziehe mich
anschließend in mein Zimmer zurück. Die Grillen zirpen vor meinem
Fenster. Der Kühlschrank ist noch nicht da.
Ich schlüpfe in
meinen übergroßen Bademantel, schlurfe durch die
verwaiste Bar und
ziehe als einziger Badegast ein paar Runden durch den Pool. Der in der
Mitte befindliche Whirlpool ist außer Funktion. Anschließend
inspiziere ich die zum Schwimmbadbereich gehörenden Räumlichkeiten: Es
gibt noch einen Umkleideraum, eine Sauna (außer Betrieb) und einen
Fitnessraum. In meinem Zimmer bleibe ich im Bademantel eingewickelt und
sehe noch ein wenig fern. Das häusliche Chaos ist in weite Ferne
gerückt.
Dienstag
Mein Wecker klingelt
eine halbe Stunde früher als gewohnt. Wenn ich schon in einem Hotel
wohne, will ich dort schließlich auch gemütlich frühstücken. Das
Angebot am Frühstücksbuffet ist toll, und der Raum bietet eine
wunderbare Aussicht auf die Natur, auf Feld, Wald und Wiesen. Ich fühle
mich wie im Urlaub.
Mit dem Fahrrad
fahre ich querfeldein zu meiner Arbeitsstelle.
Meine Kollegen
wollen sich kaputtlachen. "Im Atlantis brauchst du auch keinen
Gürtel am Bademantel!" Jeder weiß etwas zum Ruf dieses Hotels
beizusteuern: "Das hieß doch mal Studio 69!" Gelächter.
"Man konnte sich dort damals ein Zimmer nehmen, obwohl man nicht
verheiratet war!" - "Das war doch dieser Saunaclub!" Zum
Feierabend ruft mir ein Kollege zwinkernd zu: "Schönen Abend!"
Ich zwinkere aufmunternd zurück: "Schau doch nachher mal vorbei!
Und bring unbedingt ein paar Freunde mit!"
An der Rezeption
sitzt der Seniorchef. Er ist etwa Mitte fünfzig und entpuppt sich als
sprechende Hotelgeschichte. Er ist bereits seit über dreißig Jahren in
diesem Hotel. "Dann können Sie mir ja mal erzählen, was an den
bewussten Geschichten dran ist!", finde ich. Er rückt sich
gemütlich in seinem Sessel zurück und schlägt die Arme übereinander.
"Allllllllso …"
Eine halbe Stunde
später bin ich im Bilde. Die Geschichten stimmen alle nicht! Die seien
lediglich deswegen aufgekommen, weil man dort in den 70er Jahren ein
Schwimmbad und eine Sauna eingebaut habe. Das sei einfach zu früh
gewesen für Braunschweig. Und als sich dann noch herumsprach, dass man
dort zu später Stunde sogar nackt baden durfte, war der Ruf dahin. Was
heißt "dahin", wahrscheinlich eher "perfekt", denke
ich. Denn damals habe das Geschäft gebrummt, es gab keine
Promillegrenze, aber es gab warmes Essen bis in die Morgenstunden. Da
habe sich gern ein nachts arbeitendes Völkchen, bestehend aus
Taxifahrern und Prostituierten, dort eingefunden. Ich überschlage kurz,
wie alt mein augenbrauenhochziehender Taxifahrer wohl in den 70ern
gewesen sein könnte.
Und die Fenster
zwischen Bar und Schwimmbad seien nur deshalb eingebaut worden, weil es
dort eine Schwimmschule für Kinder gegeben habe und die Kinder
beaufsichtigt werden mussten. Während die Mütter in der Bar saßen?
Derart aufgeklärt
benötige ich eine Stärkung. Im Restaurant bestelle ich einen
Nizzasalat. Insgesamt sind fünf Tische besetzt in diesem riesigen Raum.
Ich frage mich, wie dieses Hotel überlebt, und wer hier überhaupt
absteigt. Die Verkehrsverbindungen in die Stadt sind sowohl für
öffentliche Verkehrsmittel als auch für PKW schlecht. Im Umfeld gibt
es nur Natur und in einiger Entfernung ein paar Dörfer. Ein junges
Pärchen, eine Gruppe älterer Leute, zwei junge Männer und zwei alte
Damen haben sich hier zum Essen eingefunden.
Trotzdem dauert mein
Bier 15 und der Nizzasalat 30 Minuten. Die Erklärung ist entwaffnend:
"Entschuldigung, ich bin Auszubildende und kann noch nicht richtig
Bier zapfen! Und der Salat hat solange gedauert, weil wir dafür noch
ein Ei kochen mussten!"
Die beiden jungen
Männer am Nachbartisch rufen die Kellnerin heran. "Wir haben
gesehen, dass in der Bar ein Billardtisch steht, allerdings ist er
abgedeckt. Können wir daran spielen?" Die Bar erweckt den
Anschein, als sei sie seit Einführung der Promillegrenze nicht mehr in
Betrieb gewesen. Und nun hört es sich so an, als solle hier erstmals
wieder Leben einkehren. Die Kellnerin: "Selbstverständlich können
Sie dort spielen, ich nehme die Plane nachher ab!" Oha, denke ich
mir, heute werde ich also Publikum haben.

In meinem Zimmer
überprüfe ich den Sitz meines Bademantels vor dem großen Spiegel.
Lege auch zu Testzwecken den Ledergürtel meiner Jeans um das weiße
Frottee. Nein, das passt gar nicht. Versuche es mit einem grünen Schal.
Nein. Letztendlich schlurfe ich wieder "ohne" durch die Bar.
Ziehe wieder meine Runden durch das kalte Wasser, fühle mich aber durch
die Scheiben zur Bar ungewohnt beobachtet. Bin der Meinung, dass ich den
Herren an diesem Ort irgendetwas bieten müsste. Verschwinde daher nach
dem Bad kurz hinter den Kulissen, komme ganz in weiß zurück und wringe
meinen Badeanzug demonstrativ über dem Beckenrand aus. Den Rest
überlasse ich der Phantasie der Herren. Bemühe mich außerdem sogar, auf dem Rückweg durch die Bar dieses Mal *nicht* zu
schlurfen.
Zurück auf dem
Zimmer finde ich das gewünschte zweite Kopfkissen sowie eine sms vor:
"Habe gehört, dass du im Hotel wohnst! Wie Udo! DIVA!"
Der Kühlschrank ist
immer noch nicht da.
Mittwoch
Am nächsten Morgen
sehe ich mir die Frühstücksgesellschaft einmal etwas genauer an. Denn
schließlich habe ich am vergangenen Abend auf dem Parkplatz vor meinem
Zimmerfenster 16 Autos gezählt. Ich entdecke an diversen Tischen
diverse einzelne Herren, alle in Schlips und Kragen, neben sich einen
mittelgroßen Koffer auf dem Fußboden. "Vertreter!", schießt
es mir durch den Kopf. Klar, hier draußen sind die Preise relativ
zivil, außerdem bietet die Natur genügend Ruhe gegenüber dem Lärm
der Straßen und der Städte, dem diese Herren für den Rest des Tages
ausgesetzt sind.
Auf dem Weg zur
Arbeit entdecke ich eine neue Route, die mir erlaubt, ein weiteres
Stück Straße auszulassen. Ich radele zunächst wie immer durch den
Wald, daran anschließend über einen schmalen Trampelpfad, der mich
durch eine saftige Wiese mit hohen Gräsern direkt zu meiner
Arbeitsstätte führt. In der Stadt war ich schon seit Tagen nicht mehr.
Auf der Rückfahrt
werde ich von einem Gewitter überrascht. Ich kehre in einer Waldgaststätte ein,
setzte mich unter einen großen Laubbaum, der mir genügend Schutz vor
dem Regen bietet, und bestelle Bier und Bratkartoffeln. "Work &
Wellness" könnte man mein aktuelles Lebenskonzept nennen,
überlege ich mir, während ich meine Beine auf einem hölzernen Gartenstuhl ausstrecke.
Im Atlantis schiebt Chef
wieder
Rezeptionsdienst. "Ich fange ja erst am späten Nachmittag an und
bin dann bis 2 Uhr hier. Dann ka
nn ich morgens schön lange liegen
bleiben." Worin bestehen wohl
ganz genau seine Aufgaben bis nachts um 2? Ich sehe mich um: Heute ist
Grillbetrieb, immerhin tummeln sich daher einige Gäste auf der schönen
Terrasse, darunter sicher aber viele Tagesgäste, die nach dem Essen
wieder gehen. Derweil erzählt mir der Chef allerhand Privates und gibt
mir einen Überblick über seine Familienverhältnisse. Ich fühle mich
hier schon wie zu Hause.
In meinem Zimmer
fehlt der Duschvorleger. Ich streife ein wenig durch die Gänge des
verschachtelten, kaum bewohnten Gebäudes. Vielleicht finde ich ja
irgendwo einen Schrank mit frischer Wäsche.
Überall stehen
Truhen und Kommoden herum, darin befinden sich Kissen, Putzgeräte,
vergessene Gegenstände aller Art. Zudem begegnen mir ein
Getränkeautomat und eine Schuhputzmaschine. Auf einem Zwischengeschoss
finde ich auf einer in die Jahre gekommenen Kommode ganz unvermittelt
zwei Kabel mit einem Schild "Hot Spot" darüber. Hier, in
dieser versteckten, verwaisten Nische, kann man also mit einem Laptop
ins Internet gehen. Na bitte: Alles da!
Ich entdecke ein
Gästezimmer, dessen Tür sperrangelweit offen steht. Sofort inspiziere
ich den Raum: Er ist unbewohnt, offenbar für neue Gäste frisch
hergerichtet. Im Badezimmer finde ich einen Duschvorleger. Ich nehme ihn
an mich und schlurfe zufrieden zurück in mein Zimmer. Schließlich habe
ich ältere Rechte. Zu meinem Glück fehlt nur noch der Kühlschrank.
Donnerstag
Am nächsten Tag
fragt mich meine Arbeitskollegin, ob ich denn überhaupt wisse, wie weit
die Handwerker inzwischen in meiner Wohnung seien. Während der
vergangenen Tage habe ich nur wenig Gedanken an diese Baustelle
verschwendet, sehe aber ein, dass ich mich diesem Problem langsam einmal
stellen müsste. Sie bietet mir an, mit mir gemeinsam in meine
Stadtwohnung zu fahren, um mir seelischen Beistand zu geben.
Der Anblick ist ein
Schock! Die Arbeiten scheinen so gut wie abgeschlossen zu sein, aber die
gesamte Wohnung, jeder einzelne Gegenstand, ist von einer dicken
Staubschicht überzogen. "Das bekommst du allein nicht hin!",
meint meine Kollegin. "Da musst du eine Putzkolonne durchjagen!"
So sehe ich das auch.
An der Rezeption
wartet der Chefplauderer bereits auf mich. Als er mich sieht, nimmt er die
gewohnt entspannte Haltung ein, die zum Ausdruck bringen will: "Jetzt
wird's gemütlich." Denn schließlich hat er auch nicht so oft
Gelegenheit, sich über alte Braunschweiger Geschichten auszutauschen,
kommen sein Gäste doch hauptsächlich von auswärts und sind an
Braunschweiger Interna vielleicht nicht so sehr interessiert wie
ich.
Aber heute fragt er
auch: "Wie lange bleiben Sie noch? Drei Tage sind ja jetzt 'rum."
Ich rechne kurz nach: Heute ist Donnerstag, morgen werde ich
herumtelefonieren und versuchen, kurzfristig einen Putzdienst zu
organisieren, die können frühestens am Montag starten. "Also, bis
Sonntag auf alle Fälle. Und wann kommt eigentlich mein Kühlschrank?"
Er wird schneeweiß
im Gesicht und räumt ein: "Oje, den habe ich ja völlig vergessen!"
Ruft seinen Sohn herbei und weist ihn an, mir das Gerät sofort aufs
Zimmer zu bringen. Verwickelt mich anschließend noch in einige
Erzählungen, bis er sagt: "Jetzt
gehen Sie mal hoch, der Bengel wartet bestimmt schon vor Ihrer Tür."
Nachdem der mir den Kühlschrank angeschlossen hat, sage ich erfreut: "Oh,
und so schön leise, der brummt ja gar nicht!"
Dafür stinkt er innen, wie ich feststelle, als ich meine paar
Lebensmittel und Getränke einräume.
Die abendlichen
Poolrunden sind mir inzwischen zu einer lieben Gewohnheit geworden.
Und
die Bäume vor meinem Fenster zu vertrauten Freunden. Wie
lange bin ich jetzt schon hier? Ich fühle mich wie Hans Castorp, der
zunächst nur für eine kurze Zeit Thomas Manns Zauberberg besuchen
wollte, dort bald jegliches Zeitgefühl verlor und schließlich mehrere
Jahre blieb. Und ich habe jetzt endlich meinen Kühlschrank. Als ich ein
gekühltes Getränk entnehmen möchte, stelle ich fest: Er ist defekt.
Was nicht brummt, kühlt eben auch nicht. Ich schreibe auf einen großen
Zettel, dass der defekte Kühlschrank wieder entfernt werden könne,
lege diesen auf den Kühlschrank und lege einen Euro dazu.
Freitag
Vom Büro aus
versuche ich, einen Putzdienst für Montag zu organisieren. Es ist
aussichtslos, alle Gebäudereiniger sind für die nächsten Wochen
ausgebucht.
Als ich nach der
Arbeit auf den Parkplatz radele, staune ich nicht schlecht: Der ganze
Platz ist zugeparkt mit Oldtimern! Es findet hier bis zum Sonntag ein
norddeutsches Adler-Treffen statt. Sogar in der Zeitung hat es
gestanden. Extra angereiste schaulustige Liebhaber mischen sich unter
die stolzen Besitzer und fachsimpeln mit ihnen. Die Fahrzeuge sind etwa
70 Jahre alt - und die Besitzer nicht viel jünger. Bis in die späten
Abendstunden lungern die "Jungs" auf dem Parkplatz herum und
reden Benzin. Endlich mal was los bei uns hier draußen!
Zettel und Euro sind
weg, der Kühlschrank ist aber noch da. Ich schiebe ihn vor meine
Zimmertür in den Gang.
Samstag
Vom sonoren
Motorengeräusch der Oldtimer wache ich auf. Ich steige aus meinem Bett
und sehe aus dem Fenster: Wie auf einer Perlenkette aufgereiht brummen
die Adler davon. Es ist schönstes Cabrio-Wetter, so dass die Oldies
offen fahren können - ich freue mich für sie.
Wochenende! Ich
krieche zurück in die Falle, räkele mich und überlege mir, wie ich
den Tag verbringen könnte. Ich beschließe, eine Radtour durch die
umliegenden Dörfer zu unternehmen. Nach dem Frühstück geht’s los.
Vom Namen her kenne ich sie selbstverständlich alle, bin aber bisher
immer
nur über die Hauptstraße an ihnen vorbeigefahren. Deren Ortskern
erkunde ich heute zum ersten Mal, was mir ganz neue Perspektiven bietet.
In einer idyllischen
Waldlichtung gelingt es mir, eine Freundin telefonisch dazu zu
überreden, mit mir am Sonntag meine Wohnung zu putzen.
In meinem Zimmer ist
eine Verwechslung vorgefallen: Statt des auszutauschenden
Gesichtshandtuchs habe ich nun einen weiteren Duschvorleger. Da ich
diesen aber nicht für das Gesicht nehmen will, streife ich einmal mehr
durch die Gänge des Hotels und entdecke eine Tür, die auf eine große
Dachterrasse mit
idyllischem Blick auf den Wald führt. Warum ist mir
die noch nicht früher aufgefallen? Die Terrasse ist völlig verwaist
und verwahrlost, schade drum. Es gibt nur eine einzige Bank, daneben
einen überfüllten Aschenbecher. Vermutlich wird sie nur von dem
Reinigungspersonal als Aufenthaltsort für die Raucherpausen genutzt.
Ich hole mein Buch und sitze bis in die späten Abendstunden auf dem
Dach des Schwimmbades.
Der Kühlschrank
befindet sich nicht mehr vor meiner Zimmertür. Er steht jetzt einige
Meter weiter in einer toten Ecke, gemeinsam mit einem Kinderbett und
einer Leiter.
Ich räume den Käse
und einen Joghurt aus dem Kleiderschrank und bringe beides zum
Mülleimer vor dem Haus.
Sonntag
In den schönen,
großen Gesellschaftsräumen wurde gestern eine Hochzeit gefeiert.
Zusammen mit den Adlern ist das Haus jetzt endlich einmal ausgebucht.
Das wirkt sich allerdings negativ auf das Geschehen im Frühstücksraum
aus. Ich hocke in einer Katzenecke, an mir flaniert unablässig die
Hochzeitsgesellschaft vorbei, um sich etwas vom Büffet zu holen. Wird
Zeit, dass hier wieder der gemütliche, ereignislose Alltag einkehrt!
An einem
reservierten Tisch erscheint ein älterer Herr. Holt Brötchen, O-Saft,
Wurst und Käse, baut alles auf, für zwei Personen. Dann kommt die
Kellnerin und sagt: "Ihre Frau hatte aber diesen Tisch reserviert!"
und zeigt auf den Nebentisch. Der ältere Herr sagt: "Ach, ist
egal, jetzt habe ich alles aufgebaut." Dann zögert er und blickt unsicher
zu mir herüber: "Oder ob ich
doch lieber umziehe?" Ich
zucke lachend mit den Schultern. Er: "Ach,
ehe ich mir den Sonntag verderbe …"
Schnappt sich alles und räumt es einen Tisch weiter, ich helfe ihm
dabei. Nun bin ich sehr gespannt auf die Dame, die gleich erscheinen
wird. Dann betritt SIE die Bühne: Eine Operndiva mit riesig
aufgetürmter Frisur, wallenden Gewändern, viel Schmuck, grell
geschminkt. Ich glaube, wir haben alles richtig gemacht.
Nachdem ich in der
gefährlichen, großen Stadt mit meiner Freundin 10 Stunden lang meine
Wohnung geputzt habe, komme ich am Abend völlig erschlagen zurück.
"Morgen reise
ich ab", teile ich meinem Chefplauderer traurig mit. Ich fühle
mich inzwischen wie zum Inventar gehörend. Ich habe es sehr gemocht, mich
hier eine Zeitlang zu verkriechen.
Es tut mir ein wenig
Leid um den charmanten, in die Jahre gekommen Kasten in dieser schönen
Umgebung. Man könnte einiges mehr aus ihm machen. Ein bisschen mehr
Werbung und ein bisschen mehr Kundenfreundlichkeit durch kleine, gar
nicht so kostspielige Verbesserungen
würden ihm sicher gut tun.
Am nächsten Morgen
ist am Frühstückstisch endlich wieder alles wie immer: Ich bin fast
der einzige Gast.
Ich steige in das Taxi mit dem Gefühl, eine etwas
irreale, vergessene, aber auf ihre Art sehr charmante, eigene kleine
Welt zu verlassen.