Als
wir erfahren, dass wir im Großen Haus des Braunschweiger Staatstheaters
auftreten dürfen, bekomme ich weiche Knie. Und die kann man beim
Flamenco ja besonders gut gebrauchen. Na, das fängt ja prima an. Wie
soll das bloß erst am Tag X werden? Dieser ehrwürdige Ort flößt uns
allen großen Respekt ein und beschert uns noch mehr Lampenfieber als
gewöhnlich.
Die kommenden Monate
wird geprobt, was das Zeug hält. Denn schließlich möchten wir ja
einen guten Eindruck hinterlassen auf diesen besonderen Brettern im ersten
Haus
am
Platz.
Dann ist der Tag der
Braunschweiger Kulturnacht da. 240 künstlerische Darbietungen an 80
Orten in der ganzen Stadt - und unsere Bühne ist mit Abstand die
edelste und würdevollste.
Stimmungsvolles
Licht
Am Mittag sind wir
mit den Licht- und Tontechnikern des Staatstheaters auf der Bühne
verabredet, um die technischen Details zu klären. Nun könnte man ja
zurecht erwarten, dass die Herren uns Laien nicht eben freudig mit
offenen Armen empfangen, sondern uns eher als lästige Eindringlinge
empfinden, die gekommen sind, um ihren 1861 eröffneten Kulturtempel mit
stümperhaften Darbietungen zu entweihen.
Aber nix da: Sie
nehmen uns ernst und hören sich mit großem Engagement unsere
verschiedenen Musikstücke an, beobachten unsere Tanzproben und schlagen
dazu unterschiedliche Lichtstimmungen vor. Mal tauchen sie den
Hintergrund in ein strahlendes andalusisches Himmelblau, mal in ein warmes
spanisches Sonnengelb und mal in ein feuriges Flamenco-Rot.
Wir können derweil
die Bühne ausprobieren. Ganz schön ramponiert und geschunden, diese
Bretter! Von hier aus sieht der Zuschauerraum mit seinen fast tausend
dunkelroten Samtsesseln zwar immer noch sehr edel aus, aber nicht mehr
so groß, wie man ihn aus der Zuschauerperspektive erlebt. Wir sind
etwas beruhigt.
Die
Künstlergarderoben
Jetzt
noch schnell einen Blick in die Garderoben, die sich gleich neben der
Bühne befinden. Schön ausgeleuchtete Schminkplätze mit uralten,
urigen Stühlen und Sesseln davor. Wer hier wohl schon alles Platz
genommen haben mag. Das gesamte Ambiente besitzt eine geheimnisvolle
Ausstrahlung und ist ziemlich in die Jahre gekommen. Auf der Bühne der
schöne Schein, und nur ein paar Schritte hinter dem Vorhang die
Realität, dass die Kunst nicht gerade zu jenen
Bereichen gehört, die hier besonders gefördert werden. Aber
dieser Widerspruch zwischen Schein und Sein vermittelt immerhin auch einen gewissen Charme und unterstützt das romantische Klischee des einfachen Künstlerlebens.

Wir werden von 22
bis 23 Uhr auftreten, treffen uns aber bereits um 21 Uhr, um die fein
aufgeräumten Garderoben in Zigeunerhöhlen und uns in Spanierinnen zu
verwandeln. Das
Lampenfieber
steigt und steigt. Eine von uns hat verschiedene
Düfte mitgebracht, die beruhigend wirken sollen.
Eine Mischung aus Lavendel und Pfefferminz legt sich schwer in den Raum.
Ich rüste - innerlich angewendet -
mit Baldriantropfen nach.
Aus den Lautsprechern
in unserer Garderobe ertönt die Durchsage: "Das Programm beginnt." Dann die Musik der
Gruppe, die vor uns dran ist. Wir schleichen uns in den Vorhang-Korridor
seitlich der Bühne und sehen unseren Mädels zu.
Panik!
Nach dem nächsten
Stück sind wir dran, und wir stellen uns hinter dem Vorhang schon mal
auf. Wer fehlt, ist Iris, unsere Flamenco-Lehrerin. Ohne sie können wir
dieses Stück nicht tanzen, weil wir alle Fünf nicht in der Lage sind,
uns diese komplizierte Choreographie zu merken. Wir entdecken Iris
gegenüber auf der anderen Seite der Bühne, ebenfalls in einem
Vorhang-Korridor, wie sie das Geschehen auf der Bühne beobachtet.
Panik kommt auf. Sie
hat uns vergessen! Eine macht drei große Schritte rückwärts weg von
der Bühne, als wäre vor ihr gerade ein Silvester-Knaller explodiert,
und sagt: "Ohne Iris trete ICH nicht auf!" Eine Andere riecht
kräftig an ihren Unterarmen, die sie mit den beruhigenden Düften
eingeschmiert hat. Ich beginne, die gesamte Aufstellung zu ändern:
"Wenn Iris nicht kommt, stehe ja ich in der ersten Reihe. Dann habe
ich ja keinen mehr zum Abgucken! Das geht überhaupt nicht! Also, du
kommst jetzt mal nach
vorn,
ich gehe eine Reihe nach hinten …." Auf der Bühne wird bereits
unsere Musik gespielt, da kommt Iris im Laufschritt angerast. Sie hatte
unseren Vorgängerinnen versprochen, ihnen hinterm Vorhang rhythmische
Schützenhilfe zu leisten.
Nachdem wir unsere
"Romeras" ohne nennenswerte Zwischenfälle über die Bühne gebracht
und den tosenden Applaus einkassiert haben, teilt sich unsere
Fünfer-Gruppe in zwei Lager: Zwei von uns haben bereits alles hinter
sich und sind in Champagnerlaune, die anderen Drei müssen später noch
mal 'ran. Zu denen gehöre ich.
Die Farruca ist ein Männertanz, der in
Hosen aufgeführt wird, und den wir bei den Proben meist nicht besonders
synchron hingekriegt haben und ihn deshalb schon absetzen wollten. Wir
üben in der Garderobe noch mal einzelne Schritte und sprechen einige
Bewegungen ab.
Macho R.
Als wir uns im
Vorhang-Korridor positionieren, entdecke ich es: Ein kleines grünes Ding
auf der Bühne. Ich kneife meine Augen zusammen, um es genauer erkennen zu
können: Ein Kamm! Den hat offenbar eine Tänzerin vor uns verloren. Jetzt liegt
er frech mitten in unserem Einzugsgebiet. Besser gesagt: In R.'s
Einzugsgebiet. Was ich bisher unerwähnt ließ: Wir haben nicht
ausschließlich Mädels, sondern wir haben auch einen
(einzigen) R.. Als
unsere Musik eingespielt wird, bläue ich ihm ein: "Wenn du 'rausgehst,
musst du das grüne Ding da vorne wegtreten, das stört!"
Ich hätt's nicht
sagen sollen. Denn R. kickt den grünen Kamm derart cool und souverän
zur Seite, dass ein Raunen durchs Publikum geht und nach der gesamten
Aufführung "Macho R." das Gesprächsthema Nummer eins sein wird.
Dass sich im Hintergrund noch zwei Tanzsoldatinnen abmühen, fällt
niemandem mehr auf. Dabei sind wir zum ersten Mal endlich synchron …